Rassismus - Der Wahnsinn liegt auf dem Platz
Von Eva Lodde
Jedes zweite Spiel ist ein Martyrium: Der Leipziger Stürmer AdebowaleOgungbure wird angespuckt, als "Nigger" beschimpft, Zuschauer imitieren Affenlaute. Dann riss ihm einmal der Geduldsfaden, er hobden Arm zum Hitlergruß.
Bei SPIEGEL ONLINE spricht er über Fußball imFeindesland.Leipzig - "Mein Mund ist so trocken", sagt er. Adebowale Ogungburefindet die Worte auf deutsch nicht mehr. Er hat den Blick gesenkt,versteckt seine Augen unter der beigen Schiebermütze. In seinenGedanken spielt sich das Drama vom vergangenen Samstag ab. In einemHinterzimmer seines Vereins sitzt der Mittelfeldspieler und starrt aufden Zahnstocher in seinen Händen. Seine Finger drehen, knicken und zerfasern ihn.Adebowale Ogungbure: "Deutschland ist meine Schule."
SPIEGEL ONLINE Adebowale Ogungbure: "Deutschland ist meine Schule."Als er ins Englische wechselt, bricht es aus ihm heraus: "Ich war sowütend. Mir war alles egal. Ich hätte auch sterben können. Aber ichmusste etwas tun. Ich dachte: 'Was kann ich machen, damit die Leutedie gleiche Wut fühlen wie ich? Damit sie mich verstehen?' Und als ichden Arm gehoben hatte, sah ich, dass sie auch wütend werden konnten.Da habe ich gelacht."Aber dieses Lachen blieb dem Nigerianer im Halse stecken. Als erverzweifelt den Arm zum Hitlergruß gehoben hatte und mit einem Momentder Genugtuung belohnt wurde - dann kam schon ein Fan des HalleschenFC von hinten und attackierte ihn mit einer Eckfahne. Von vorne kamein anderer und würgte ihn. Ogungbure schubste die Gegner weg. Am Endewar es nicht die Polizei und auch nicht der Sicherheitsdienst, der ihnvom Platz rettete. Ein Mannschaftskollege zog ihn in den Tunnel zu denUmkleidekabinen.Den Skandal kleinhaltenEs ist nicht verwunderlich, dass Adebowale Ogungbure ausgerastet ist.Denn es war nicht das erste Mal, dass er 90 Minuten lang beschimpftwurde, mit Ausdrücken wie "Bimbo" oder "Neger". Oder dass gegnerischeFans Affenlaute nachgeahmt haben, sobald er in die Nähe des Balls kam.23 Spiele hat er bislang absolviert. "Bei fast jedem zweiten Spiel binich irgendwie rassistisch beleidigt worden", erzählt er. Dieses Malist er auch angespuckt worden. "Noch nie habe ich in Deutschlandjemanden gesehen, der auf Hunde oder Katzen spuckt - warum auf mich?"Was folgte, war grotesk: Der 24-Jährige bekam eine Anzeige nachParagraph 86a, weil er ein verfassungsfeindliches Symbol in derÖffentlichkeit gezeigt hatte. Einen Tag später stellte dieStaatsanwaltschaft das Verfahren wieder ein. In den ersten Debattenging es darum, wie Adebowale Ogungbure so etwas nur tun konnte. Wasdie Aggressionen und Beleidigungen jedoch anging - da hieß und heißtdie Parole der beteiligten Offiziellen: Bloß nicht aufblähen! KeineÜberdramatisierung! Den Skandal kleinhalten!Der Polizeisprecher Siegfried Koch sagte, dass 450 Beamte vor Ortwaren, um das Spitzenspiel der beiden Klubs abzusichern. EineSchlägerei habe es nicht gegeben. "Geschubst und gestoßen - das wurdeder Spieler schon. Aber keiner hat ihn tätlich angegriffen", meintKoch. Der Hallesche FC hat sich erst am Mittwoch, vier Tage später,von den Vorfällen im Stadion distanziert. Es gab kein Wort derEntschuldigung. Niemand hat Adebowale Ogungbure angerufen undwenigstens sein Mitleid ausgedrückt.Auch Rolf Heller, der Präsident des FC Sachsen Leipzig, behauptet, derVorfall sei eine Ausnahme. Eindringlich bittet er die Journalisten,bloß nicht zu negativ zu schreiben. "Das hat nichts mitRechtsradikalismus zu tun, das ist fehlgeleitete Vereinsempathie",meint er. Dabei sagt Adebowale Ogungbure, dass er dem Präsidentenimmer erzählt habe, wie er angefeindet worden sei. Die Antwort: "Diewollen dich nur provozieren." Er selbst glaubt es mittlerweile: "Diewarten doch nur darauf, dass ich eine Anzeige erstatte. Aber das mussvon ganz oben kommen, nicht von mir." Konsequenzen hätte es bis zumletzten Wochenende nie gegeben; auch nicht als er von einemgegnerischen Spieler "Nigger" genannt wurde."Dumm gelaufen. Passiert eben."Der Mann hinterm Tresen des Vereinsheims war beim Spiel dabei, hat dieRüpeleien aus der Ferne gesehen. Die Beleidigungen aus dergegenüberliegenden Kurve der Gegner konnte er nicht hören, sagt er.Die Fangesänge waren um ihn herum zu laut. Ob er glaubt, dass einSpieler 90 Minuten lang so runtergemacht werden kann? Ohne dass jemandeinschreitet? Er zuckt die Schultern. "Dumm gelaufen. Passiert eben",sagt der Mann, "ein paar Rechte gibt es überall." Die vermeintlicheToleranz geht sogar so weit, dass vor ein paar Wochen Fans - angeblichvon Lok Leipzig - bei einem unbedeutenden Jugendturnier neben demSpielfeldrand ein menschliches Hakenkreuz bilden konnten.Adebowale Ogungbure hat sich immer geduckt. Er hat nie aufhebens umseine Person machen wollen. Nur Fußball spielen, das zählt. SeineStollenschuhe hat er schon als Kind heimlich in den Schulranzengepackt. Mit 17 Jahren bekam er die große Chance: Einen Vertrag inDeutschland beim 1. FC Nürnberg. "Das war eine schwere, aber tolleZeit", schwärmt er, "mit Augenthalter, Littbarski."Er wusste nicht viel von seiner neuen Heimat. "Mmmh, ich hatte vomKarneval gehört", murmelt er und grinst ganz breit. Das macht ereigentlich sehr oft, wenn er nicht gerade über Rassismus redet. "Mirgefiel der deutsche Fußball: Das waren Kämpfer, die hatten Disziplin",sagt er. Die musste er zwar erst lernen. Jetzt allerdings sei er immerfünf Minuten vor jedem Termin da. "Deutschland ist meine Schule. Ichmache gerade meinen Master", gluckst er.Adebowale Ogungbure hat zwischendurch auch bei Energie Cottbusgespielt: Ein Verein, der für sein rechtes Fanpotenzial bekannt ist.Dort sei er aber nie angegriffen worden. "Nur einmal war mein Autonach der Meisterschaft demoliert. Manchmal glaube ich, dass dieMenschen auch gerne so leben würden wie ich", sagt er. Auf dem Tischliegt der Schlüssel seines Mercedes.Beleidigungen ignorieren - das ist professionellAls Adebowale Ogungbure in seinem schicken Anzug und den passendbeigen Schuhen durch das Vereinshaus schlendert, tönt es aus allenEcken. "Hey Ade!", "Na, wie geht's Ade?", "Alles ok, Ade?"Schulterklopfen, Händeschütteln. An den Wänden hängen die Fotos vonder Anti-Rassismuskampagne, die der Verein noch in der letzten Wocheorganisiert hatte. "Wir sind alle Ade", steht dort. "Ich bin so stolzauf den Verein und die Fans, dass sie hinter mir stehen", erklärt er."Ich will ja nur, dass alle fröhlich sind."Er war es die letzten Tage nicht. Er schämt sich für das, was er getanhat. "Ich bin doch ein Vorbild für die Fans", sagt Ogungbure. Trotzdemweiß er, dass seine dramatische Geste eigentlich das Beste war, was ertun konnte: "Hätte ich das nicht gemacht, wäre es so weiter gegangenwie immer." Dann hätte er sich wieder Kopfhörer aufgesetzt, Musikgehört und versucht abzuschalten, bevor er aufs Feld geht.Beleidigungen zu ignorieren - das nennt er "professionell sein".Jetzt zumindest kümmert sich der DFB: Der Fall geht vors Sportgericht.Die Fifa drängt: Geldstrafe oder Punktabzug sollen auch in derOberliga möglich sein, wenn ein Verein seine Fans nicht unterKontrolle hat. Bundesweite Stadionverbote sollen auf die Oberligaausgeweitet werden - so wie es in den höheren Ligen Gang und Gäbe ist."Ich bin jetzt 24 Jahre alt, die besten drei Fußballjahre habe ichnoch vor mir", sagt Adebowale Ogungbure. Im Juni läuft sein Vertragbeim FC Sachsen Leipzig aus. "Ich mag die Stadt sehr, die Leute sindtoll, auch die Fans", sagt er. Aber angeblich habe er Angebote ausErstligaklubs in Italien und Frankreich, von Zweitligavereinen inDeutschland. Jedenfalls ist er vorbereitet. "Ich habe natürlich einenPlan B und C", sagt er stolz, "das habe ich hier so gelernt."
Quelle : Spiegel Online